Spannungsfeld Wald-Wild

DER WEG ZUM ERFOLG

Wald und Wildtiere gehören zusammen. Wir Menschen haben an beide Ansprüche, spezifische Erwartungen und konkrete Vorstellungen. Den Wald nutzen wir als unschätzbaren Erholungsraum und Holzlieferant. Wildtierbeobachtungen bereiten uns ebenso Freude wie der Konsum von Wildfleisch. Um alles nebeneinander zu gewährleisten, braucht es ein ziel- und fachorientiertes Management von Wald und Wild.

Im Detail führt dies immer wieder zu Spannungen und Diskussionen. Erschwert oder verunmöglicht der Wildverbiss gar die Erreichung der waldbaulichen Ziele, oder ist der Verbiss noch tragbar? Oder sind es gar andere Faktoren, welche die natürliche Waldverjüngung erschweren? Diese Fragen gehen nie aus, solange der Wald und die Wildtiere bewirtschaftet werden. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass sich die Wald-Wild-Situation im Kanton St.Gallen in den letzten Jahrzehnten vielerorts positiv entwickelt hat.

EIN BLICK ZURÜCK

Vor einigen Jahrzehnten fand man in Gebieten mit grossen Wald-Wild-Problemen oft gepflanzte dunkle Fichtenstangenhölzer vor, welche besonders wildschadenanfällig waren. Tannen und Laubhölzer hatten kaum eine Chance aufzukommen. Der Wildbestand überstieg vielerorts die vorhandene Lebensraumkapazität. Wildfütterungen führten lokal zu künstlich hohen Wildkonzentrationen. Waldgämsen waren noch häufig, ebenso Schälungen durch Rotwild an Stangenhölzer, ob Fichte oder Esche. Jagdgesellschaften entrichteten teilweise jährlich mehrere Tausend Franken Wildschaden-Entschädigung. Die Aufwendungen des Forsts für Wildschadenverhütungsmassnahmen waren enorm. Grossraubtiere gab es noch keine. Streitigkeiten zu Wildschadenforderungen landeten mehrfach vor Gericht, die Stimmung zwischen Jagd und Forst war oft sehr angespannt.

ERFOLGSFAKTOR Zusammenarbeit

Früher hatte man in der Wald-Wild-Thematik oft übereinander gesprochen, heute spricht man miteinander. Früher wurden Wildschadenforderungen gestellt und über die Schadenhöhe diskutiert, heute optimiert man den Lebensraum und diskutiert über Verhütungsmassnahmen. Früher stand die konkrete Abschusszahl eines Jagdreviers zur Debatte, heute legt man Ziele in der Waldentwicklung und in der strategischen Jagdplanung fest. Diese Entwicklungen gingen nicht von heute auf morgen und die Gespräche sind auch nie zu Ende. Die positive Entwicklung in der Zusammenarbeit basiert auf verschiedenen Erfolgsfaktoren:

  • Gemeinsame Begehungen im Feld
  • Gemeinsam vor Ort konkret Massnahmen festlegen, umsetzen und Resultate messen
  • Fachliche Grundlagen verbessern und weiterentwickeln
  • Dem Gesprächspartner zuhören, seine Anliegen anhören, verstehen wollen und akzeptieren

Diese Prozesse halfen wesentlich die Wald-Wild-Diskussionen zu versachlichen, gegenseitig Vertrauen zu schaffen und sich besser zu verstehen. Seit dem Jahr 2013 bearbeitet die Wald-Wild-Lebens-raumkommission (WWLK) mit der Umsetzung des WWLK-Massnahmenplans die Thematik.

ERFOLGSFAKTOR Lebensraumpflege

Pflanzen benötigen Licht zum Wachsen. Dies gilt auch für junge Bäume im Wald. Mit gezielten Eingriffen von unter-schiedlicher Intensität (Durchforstung, Holzernte), wird das Licht dosiert und damit verschiedene Baum- und Pflanzenarten gefördert. Denn nicht alle Arten haben dieselben Lichtbedürfnisse. Grundsätzlich bedeutet aber mehr Licht im Waldbestand auch eine höhere Vielfalt an Baum-, Pflanzen- und damit auch Tierarten, die im Wald leben. Waldbewirtschaftung ist also auch Lebensraumpflege. An verschiedenen Orten kann man einen deutlichen Fort-schritt der Lebensraumsituation feststellen. Im Neckertal zum Beispiel ist seit 2006 das Landschaftskonzept Neckertal in der Umsetzungsphase. Dabei steht die Aufwertung von ökologisch besonderen Lebensräumen im Zentrum. Der grösste Teil der Massnahmen wurden im Wald umgesetzt. Die Waldeigentümer haben lichte Wälder geschaffen, Waldlichtungen offengehalten, Föhren-(Weid)-Wälder reaktiviert und stufige Waldränder ausgebildet. Auf den Eingriffsflächen nahm die Vielfalt an Pflanzen, Insekten und weiteren Tierarten zu. Die offenen Flächen bieten mit dem reichen Angebot von Kraut- und Strauchschicht vielen Arten Nahrung. Dank der Pflegeeingriffe konnte die Artenvielfalt im ganzen Neckertal verbessert werden. Auch in Amden und weiteren Gebieten wurden mit gezielten Projekten vermehrt Holzschläge zugunsten der Arten- und Biotopförderung umgesetzt, welche viel Licht in den Wald brachten.

ERFOLGSFAKTOR Naturereignisse

Naturereignisse sind für die Menschen eine Gefahr, für den Wald hingegen gehören sie zum natürlichen Entwicklungs-prozess. Stürme, Lawinen, Waldbrand oder Insektenmas-senvermehrungen führen zu einer plötzlichen Veränderung der Waldstruktur. Sie bringen viel Licht und schaffen Platz für eine grossflächige Walderneuerung. Pionierbaumarten sowie licht- und wärmeliebende Pflanzen- und Tierar-
ten können sich ansiedeln und die Totholzmenge steigt. Damit entsteht eine grosse Vielfalt an Lebensräumen und Strukturen. Dank der Zunahme an Bodenvegetation, Di-ckicht, Unterholz usw. entsteht ein grosses Nahrungs- und Deckungsangebot für die Wildtiere. Die Wildschadenanfäl-ligkeit sinkt damit deutlich. Der St.Galler Wald war in den letzten Jahrzehnten vor allem in den Voralpen von diversen Stürmen betroffen. Für die Forstwirtschaft stellten die Stür-me mit ihren Folgeschäden (Borkenkäferbefall) eine grosse Herausforderung dar, die Biodiversität hingegen konnte von den entstandenen Sturmflächen profitieren.

ERFOLGSFAKTOR Luchs

Das St.Galler Parlament unterstützte aufgrund eines Postulats die Wiederansiedlung des Luchses in der Nordostschweiz. Mit dem Projekt LUNO (Luchsansiedlung Nordostschweiz) wurden die Ziele verfolgt durch Umsiedlungen ein sich selbst erhaltender Luchsbestand aufzubauen und den Zusammenschluss der isolierten Luchsvorkommen im Alpenraum zu fördern. In den Jahren 2001–2012 wurden 12 Luchse in den Kantonen St.Gallen und Zürich ausgesetzt. Der Bestand entwickelte sich nach einer schwierigen Anfangsphase positiv. Mehrfach wurden inzwischen sogar abgewanderte Jungluchse im nahen Ausland und Nachbarkantonen nachgewiesen und pflanzten sich dort fort. Das Projekt verlief somit sehr erfolgreich, die Projektziele wurden erreicht. In der Wald-Wild-Diskussion spielte der Luchs eine zentrale Rolle, weil er zusammen mit strengen Wintern den Reh- und Waldgamsbestand reduzierte.

ERFOLGSFAKTOR Lebensraumbeurteilung

Junge Bäume sind eine wichtige Nahrungsquelle für das Schalenwild. Die Waldverjüngung, insbesondere die Baumartenmischung, kann daher durch das Schalenwild erheblich beeinflusst werden. Das Kantonsforstamt hat zusammen mit dem Amt für Natur, Jagd und Fischerei eine gutachtliche Methode erarbeitet, die den Zustand des Lebensraums beurteilt und damit auch wichtige Hinweise in Bezug auf die Höhe der Wildbestände liefert. Die «Le-bensraumbeurteilung» wird im 4-Jahres Rhythmus vom Forstdienst zusammen mit der Wildhut und den Jagd-gesellschaften durchgeführt. Mit der Beurteilung werden auch – wo nötig – Massnahmen für die hinsichtlich Zu-stand der Waldverjüngung («Verbisssituation») als «kritisch» beurteilten Gebiete vereinbart. Ein wichtiger Aspekt des gemeinsamen Beurteilungsprozesses ist das Gespräch und der Austausch zwischen Jagd und Forst.
Der flächendeckende Überblick der Verbisssituation hat sich über die drei Erhebungen unterschiedlich entwickelt. Tendenziell haben die «Verbissflächen» abgenommen. Von insgesamt elf Wildräumen nahmen jene mit «nicht tragbarem» Wildeinfluss von sechs auf vier ab.

Ausblick

Die nachweisliche Verbesserung in der Verjüngungs-situation in mehreren Gebieten des Kantons St.Gallen ist erfreulich. Nicht überall hat sich die Wald-Wild-Si-tuation jedoch so deutlich verbessert. Im südlichen Sarganserland bleibt die Situation weiterhin unbefrie-digend. Auch in anderen Regionen braucht es weite-re Anstrengungen. Die zunehmende Ausbreitung und das ausgeprägte Bestandswachstum des Rothir-sches erfordert nach wie vor die Aufmerksamkeit von allen Beteiligten. Eine grosse Herausforderung mit unbekanntem Ausgang besteht zudem im Bereich des Klimawandels. Bewährte Baumarten werden aufgrund steigender Temperaturen und Trockenheit zurückgedrängt. Trockenheitsresistentere Baumarten nehmen an Bedeutung zu. Viele davon sind verbiss-anfällig. Der Klimawandel wird auch zu noch unbe-kannten Veränderungen im bisher bewährten Zusam-menspiel im Bereich Wald-Wild führen. Deshalb ist es wichtig, dass alle Beteiligten auch in Zukunft dazu beitragen, dass die bewährten Erfolgsfaktoren ihre Wirkung entfalten können.